Heldinnen und Helden

HELDINNEN UND HELDEN - Zwischen Ideal und Wirklichkeit

Sie begegnen uns auf Kinoleinwänden, in Comicheften oder auch im realen Leben: als fliegende Superheld*innen, edle Ritter in glänzender Rüstung, engagierte Pflegekräfte, widersprüchliche Anti-Heroes oder stille Unterstützer*innen im Alltag. Manche kämpfen gegen das Böse, andere stemmen den Familienalltag, halten durch, hören zu oder zeigen Rückgrat, wenn es darauf ankommt. Was sie eint, ist weniger ihre Macht als ihr Mut. Zwischen großen und kleinen, stillen und lauten Taten zeigt sich: Held-sein hat viele Gesichter. Und manchmal beginnt die spannendste Heldenreise genau dort, wo man sie am wenigsten erwartet – im eigenen Leben.

SPIEGELBILDER UNSERER WERTE

Doch warum sehnen wir uns nach Heldinnen und Helden? Ganz einfach: weil sie mehr sind als nur Figuren in Geschichten. Sie spiegeln Werte, nach denen wir leben möchten, wider und geben uns Orientierung in einer oft komplexen Welt. Sie zeigen, was möglich ist und inspirieren uns, über uns selbst hinauszuwachsen. In ihren Geschichten finden wir Mut, den Alltag zu meistern, Herausforderungen anzunehmen und unseren eigenen Weg zu gehen. Dabei wirken diese Erzählungen tief in uns hinein: Beim Erleben der Heldenreisen werden Gehirnregionen aktiviert, die für Emotionen und Belohnung zu ständig sind. So empfinden wir Spannung, Begeisterung und Bedeutung – und lernen auf ganz natürliche Weise. Denn die klassischen Strukturen der Heldenreise entsprechen unseren kognitiven Mustern und helfen uns Gedanken zu ordnen.

Held*innen im Wandel der Zeit

Held*in ist nicht gleich Held*in – denn der Begriff ist vielschichtig und oft geprägt durch Erwartungen und individuelle Weltanschauungen. In der Antike wurden besonders tollkühne Held*innen wie Herkules der Legende nach noch direkt durch Göttinnen und Götter auserwählt und übermenschlich stark dar gestellt. Im Mittelalter verkörperten sie christliche Ideale wie Tapferkeit, Reinheit oder Glaube. Ein Beispiel dafür ist etwa Ritter Lancelot. In den 50ern wurden Held*innen oft mit Ecken und Kanten inszeniert, wie James Bond, der durchaus seine Schwächen hat, dessen Mut und Entschlossenheit, die Welt zu retten, aber im Vordergrund stehen. In den 80er- und 90er-Jahren betraten mit Ellen Ripley (Alien), Lara Croft (Tomb Raider) und Sarah Connor (Terminator) erstmals starke Heldinnen die Arena. Ihnen gegenüber standen übertrieben männliche Ideale wie Rambo und He-Man. Seit damals wurde das Bild der stählernen Ikonen immer vielfältiger, emotional diverser und moralisch komplexer: Heute hauchen Held*innen wie Wonder Woman – die mit ihrer göttlichen Herkunft ringt – oder der tollpatschige, aber herzensgute Star-Lord aus Guardians of the Galaxy den Legenden mehr Menschlichkeit und Persönlichkeit ein. Figuren wie Black Panther stärken die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Kultur oder Bewegung und damit das Gemeinschaftsgefühl. Auf all das reagiert unser Gehirn positiv.

Die Magie der Antiheld*innen

Doch nicht alle Held*innen sind perfekt. Wo einst Makellosigkeit zählte, zeigen sich immer öfter Figuren mit tiefen Abgründen: die Anti-held*innen. Der eitle und moralisch ambivalente Odysseus wird oft als früher Vertreter dieses Heldentyps genannt. Später waren die Antiheld*innen im Wilden Westen oder in Detektivbüros zuhause – wie „Der Namenlose“, verkörpert von Clint Eastwood, oder James „Sonny“ Crockett aus Miami Vice. Heute sind es Figuren wie der Joker oder der Pirat Captain Jack Sparrow aus Fluch der Karibik. Antiheld*innen haben Fehler, sind egoistisch und manchmal auch moralisch fragwürdig. Für sie gelten andere Regeln und sie können sich schlichtweg mehr erlauben. So durchbricht z. B. der Marvel-Comic-Antiheld Deadpool sogar „die vierte Wand“ und spricht direkt mit den Zuschauer*innen.

Die eigene Heldenreise

Die innere Verbindung zu Held*innen geht oft noch tiefer – denn ihre Geschichten folgen einem Muster, das wir nicht nur aus Hollywood kennen, sondern das uns auch auf persönlicher Ebene anspricht: der Helden reise. Sie beruht auf einer universellen Erzählstruktur, die seit Jahrhunderten als Vorlage dient – und erstaunlich gut auf unser eigenes Leben übertragbar ist. Wie Benjamin A. Rogers, Assistenzprofessor für Management am Boston College, diesem „alten Hut” neues Leben einhaucht? Indem er dazu anregt, das eigene Leben als Heldenreise zu sehen. Laut seinen Untersuchungen verbessert dies das Wohlbefinden, steigert die Zufriedenheit und hebt das Empfinden der eigenen Bedeutsamkeit. Der Grund dafür ist einfach: Der Mensch ist biologisch aufs „Story telling“ ausgerichtet. Mit Anfang 20 bildet sich die sogenannte „narrative Identität“, mit der wir festlegen, wer wir sind und wohin wir uns entwickeln wollen. Kein Wunder also, dass das eigene Leben an Kraft gewinnt, wenn die Hauptperson dieser Geschichte eine Heldin oder ein Held ist. Auch die Psychologin Lou Ursa nutzt die Helden reise in ihrer Praxis: „Oft sehen wir nur das, was direkt vor uns liegt. Eine mythische Geschichte – sei es die Heldenreise oder eine andere – hilft, das große Ganze zu erkennen.“ Die Heldenreise hat also die Kraft, dem Leben Sinn und Richtung zu verleihen – und trägt dazu bei, selbst schwierige Zeiten zu meistern. Vielleicht liegt darin auch die stille Anziehungskraft der vielen Alltagsheldinnen und -helden.

Held*innen von nebenan

Um waschechte Held*innen zu treffen, müssen wir nicht nach New York, Wakanda oder zum Planeten Krypton. Es reicht auch, einfach in den nächsten Supermarkt zu gehen oder beim Nachbarn zu klingeln. Denn es gibt sie unter uns: die Heldinnen und Helden des Alltags. Sie arbeiten oft ohne großes Aufsehen oder Anerkennung mutig, engagiert und mit ganzem Herzen. Ob sie für ältere Mitmenschen einkaufen, als Lehrer*innen für ihre Schüler*innen auch außerhalb der Dienstzeiten erreichbar sind oder Rettungseinsätze fliegen: Ihre Stärke liegt nicht in spektakulären Taten, sondern in kleinen, konsequenten Gesten der Fürsorge, Verantwortung und Solidarität. Die Wissenschaft hat zwar bis heute kein Held*innen-Gen gefunden, doch gibt es etwas, das diese guten Seelen des Alltags gemeinsam haben? Rein psychologisch entstehen gemeinnützige oder mutige Ver haltens weisen aus einer komplexen Mischung von Empathie, moralischem Urteilsvermögen und der Bereitschaft, über das eigene Wohl hinaus für andere einzustehen. Durch Hilfe oder mutiges Handeln werden positive Gefühle ausgelöst – quasi ein innerer „Held*innen-Boost“. Zusätzlich fördert das Erleben von sozialer Anerkennung und Verbundenheit die Motivation für weitere gute Taten. Heldentum beginnt also im Gehirn.